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Zürcher Bezirksräte: mal Gericht, mal Verwaltungsinstanz

Die Bezirksräte im Kanton Zürich sind eine weltweit einzigartige Institution und lassen sich keiner Staatsgewalt eindeutig zuordnen. Als Rechtsmittelinstanzen im Kindes- und Erwachsenenschutz stehen sie seit geraumer Zeit in der Kritik. Eine am Zentrum für Demokratie Aarau entstandene Dissertation von Katja Gfeller nimmt die Zürcher Bezirksräte unter die Lupe und schlägt Optimierungen vor. So soll das Öffentlichkeitsprinzip konsequenter angewendet werden. Vor dem Hintergrund der umstrittenen Zuständigkeit für KESB-Beschwerden schlägt die Autorin die juristische Ausbildung als Wählbarkeitsvoraussetzung für das Bezirksratspräsidium vor.

Die Zürcher Bezirksräte sind vom Volk gewählte, dezentral tätige Kollegialorgane, die gegenüber den Gemeinden hauptsächlich als Aufsichts- und Rechtsmittelinstanzen amten. Ihre organisatorische und funktionale Ausgestaltung ist sowohl im nationalen als auch internationalen Kontext einzigartig und lässt insbesondere keine eindeutige Einordnung im klassischen Modell der Gewaltenteilung zu. Als Rechtsmittelinstanz sind die Zürcher Bezirksräte an der Grenze von Verwaltung und Justiz zu verorten. Dies mag für die Politik insofern von Vorteil sein, als dass ihr funktionsfähige und demokratisch legitimierte Kollegialorgane zur Verfügung stehen, die sie mit Aufgaben verschiedenster Natur betrauen kann.

Für eine sachgerechte Aufgabenzuteilung in den diversen bezirksrätlichen Zuständigkeitsbereichen und auch für die Ausübung der Aufsicht erweist sich die einzigartige Ausgestaltung aber als Herausforderung. Vor dem Hintergrund der jüngsten Verordnungs- und Gesetzgebung appelliert die Autorin an ein besseres Bewusstsein für den hybriden Charakter der Zürcher Bezirksräte sowohl seitens der Zürcher Verwaltung als auch seitens des Zürcher Gesetzgebers.

Umstrittene KESB-Beschwerdeinstanzen

Als erste Rechtsmittelinstanzen in Gemeindesachen beurteilen die Zürcher Bezirksräte auch Beschwerden gegen Entscheide der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden. Vor allem in diesem Zusammenhang findet in der Politik seit geraumer Zeit eine kritische Auseinandersetzung mit der bezirksrätlichen Rechtsprechung statt. Auf dem Wege einer parlamentarischen Initiative wird namentlich die Übertragung der Rechtsmittelzuständigkeit im Kindes- und Erwachsenenschutzrecht von den Bezirksräten auf die Zürcher Bezirksgerichte gefordert.

Die Autorin zeigt anhand der vorliegenden Untersuchung allerdings zum einen die Systemkonformität der Zuständigkeit der Zürcher Bezirksräte als Beschwerdeinstanzen im Kindes- und Erwachsenenschutzrecht auf. Zum anderen kommt sie – wie bereits das Bundesgericht – zum Schluss, dass die Bezirksräte bei der Beurteilung von KESB-Entscheiden den Anforderungen der richterlichen Unabhängigkeitsgarantie genügen, weshalb sie als Gerichte zu qualifizieren sind. Im Grundsatz spricht sich die Autorin deshalb für ein Festhalten an der Zuständigkeit der Bezirksräte als Beschwerdeinstanzen im Kindes- und Erwachsenenschutzrecht aus, schlägt aber die Einführung der juristischen Ausbildung als Wählbarkeitsvoraussetzung für das Bezirksratspräsidium vor.

Die Untersuchung beschränkt sich nicht auf die Justizfunktion der Zürcher Bezirksräte im Kindes- und Erwachsenenschutzrecht. Vielmehr schafft die Autorin mit der vorliegenden Dissertation die bisher fehlenden wissenschaftlichen Grundlagen für eine fundierte und umfassende Diskussion über die Qualität bezirksrätlicher Rechtsprechung in verschiedensten Sachbereichen.

Ungenügende Publikationspraxis

Handlungsbedarf sieht die Autorin bei der Umsetzung des Öffentlichkeitsprinzips durch die Zürcher Bezirksräte. Ihre heutige Publikationspraxis vermag den hohen Anforderungen der Zürcher Kantonsverfassung nicht zu genügen, wonach zum einen Rechtspflegeentscheide auf angemessene Weise der Öffentlichkeit zugänglich zu machen sind und zum anderen die Entscheidpraxis zu veröffentlichen ist. Dabei könnte mit einer regelmässigen Publikation von Entscheiden und mehr Transparenz nicht nur eine verfassungskonforme Publikationspraxis gewährleistet, sondern auch das Vertrauen der Gesellschaft in die Qualität der bezirksrätlichen Rechtsprechung gestärkt werden.

Katja Gfeller, Die Justizfunktion der Zürcher Bezirksräte, Einordnung in das System der Verwaltungsrechtspflege, Diss., Zürich 2021.

– Open Access (PDF)
– Gedruckte Ausgabe